Sachdarstellung:
Grundsätzlich bedeutet Zucht Vermehrung mit qualitativen und quantitativen Merkmalen. Quantitative Merkmale und ihre Heritabilität (Vererbung) wurden bereits bei ADAM beschrieben.
Gelingt es uns, den Honigertrag um 10 kg zu steigern, wird statistisch davon ausgegangen, dass nur 26 %, also 2,6 kg, davon erblich bedingt erreicht wurden.
Die Zucht der Honigbiene kann sich in verschiedenen Mustern vollziehen, hierbei unterscheiden wir:
GESCHLOSSENE POPULATIONEN
-Erhaltungszucht (z. B. Nordische Biene)
-Reinzucht (z. B. Carnica, sonst nichts eingekreuzt)
OFFENE POPULATIONEN
- Veredelungszucht (klassische Blutauffrischung)
- Verdrängungszucht (Nordbiene verdrängt durch Carnica)
- Kombinationszucht (z. B. Ligustica x Anatolica)
Die Verdrängung ist in der Bienenzucht theoretisch nach 7 Generationen erreicht, gleiches gilt auch für die Kombinationszucht. Allerdings ist hier die Genetik und somit die Vorhersagbarkeit von Zuchtergebnissen eine unklare Größe - halten wir uns nur vor Augen, dass die Jungkönigin 16 väterliche und 16 mütterliche Chromosomen in sich trägt, sprechen wir von über 65.500 genetisch verschiedenen Eiern. Um auch nur annähernd vorhersagbare Zuchtergebnisse erzielen zu können,werde ich an dieser Stelle nicht müde zu betonen, dass nur von reinem, instrumentell angepaartem Ausgangsmaterial nachgezüchtet werden darf. Für die weitere Selektionsarbeit und Auffindung von nachzuchtwürdigenLinien ist eine rationelle und praktikable Auslesemethodik anzuwenden.
Die Auswahl von Zuchttieren nach Körpermerkmalen wird bei uns nur angewendet bei Einkreuzung reiner Rassen, die mit besagter Methodik lediglich auf Reinrassigkeit überprüft werden. Leistung von Körpermerkmalen abhängig zu machen ist sicherlich die falsche Herangehensweise bei der Bienenzucht. Stellen wir uns vor, dass ein Chormeister einen begabten Sänger sucht, der eine Stimme hat wie z. B. Elvis Presley. Zweifellos wird dies gelingen, doch wird das Unterfangen um einiges aussichtsloser, soll dieser besagte neue Sänger auch noch so aussehen wie Presley. (frei nach RIES)
Die Selektion nach Leistungsbewertung ist hingegen ein gangbarer Weg, insofern die Selektionsmerkmale auf eine realistische und erreichbare Größe eingeengt werden. Dies gilt im Besonderen für Privatbetriebe, die ganz ohne wissenschaftliche Mitarbeiter, Praktikanten und Doktoranden auskommen müssen. Eine häufig geforderte ausreichende Bienenvölkermenge, um eine Selektion realistisch durchführen zu können, ist m. E. nicht verhandelbar. Ergebnisse und ihre Wiederholbarkeit müssen überprüfbar sein.
Eine Inzuchtmessung durch Brutausfallerfassung wurde besonders in der vergangenen Zeit sehr in Frage gestellt. Hier wurden Argumente wie kürzlich beschriebene Heizerzellen eingebracht, deren Existenz diese Methodik der Inzuchterfassung in Frage stellen. Ergänzend kann ich hinzufügen, dass auch auslaufende Brut die Erkennung der o. g. Brutlücken erschwert. Der Aufsatz einer Schablone auf eine erst im Mai ausgebaute und anschließend verdeckelte Brutwabe ist hingegen ein Parameter, der hilfreich sein kann, um Inzuchtdepressionen bei sonst gesunden Völkern zuverlässig erkennen zu können.
Unsere hier unten beschriebene Methodik orientiert sich an der Notenskala zur Beurteilung von Bienenvölkern in der Zucht- und
Versuchsarbeit, ausgearbeitet von DANMARKS BIAVLERFORENING.
1. Sanftmut
2. Geringe Schwarmneigung
3. Wabenfestigkeit
4. Honigertrag
Für die Punkte 1 bis 4 werden Jahresnoten vergeben.
5. Hygienisches Verhalten (Ausräumrate, wird im Kapitel "Auf dem Weg zu mehr Varroatoleranz" erläutert).
Weitere interessante Eigenschaften wie Flugkraft, Spür- und Verteidigungssinn, Frühjahrsentwicklung und Sparsinn können darüber
hinausgehend subjektiv beobachtet werden und sind bei uns stets das "Zünglein" an der Waage, wenn zwischen nahezu identischen Schwestern ausgewählt werden soll.
An dieser Stelle soll noch einmal ausdrücklich über die Entscheidung der oben genannten selektiven Kriterien referiert werden:
1. Sanftmut: Es gibt keinen Grund, mit aggressiven Bienen zu arbeiten, da sich Sanftmut völlig problemlos innerhalb weniger Generationen herauszüchten läßt. Schon jetzt gibt es viele Bienenvölker, die ohne Schutzkleidung bearbeitet werden können. Besonders im Bezug auf die Auswahl von Standplätzen in Stadtgebieten (gerade hier ist der Einsatz von Pestiziden oftmals am
geringsten und nicht selten ernten wir auch hier den besten Honig) ist eine friedfertige Biene von Vorteil und vermeidet so manchen Nachbarschaftsstreit.
2. Schwarmneigung: Ein sich in Schwarmneigung befindliches Volk ist aus wirtschaftlicher Sicht für den Imker nahezu wertlos. Die Schwarmneigung dauert bis zu zwei Wochen an und endet in der Regel damit, dass die alte Königin mit bis zu der Hälfte des Bienenvolkes und einer nicht unbeträchtlichen Menge an Honig ihren Stock verläßt. Das Ergebnis ist dann traurig:
Keine Bienen, kein Honig!
Darüber hinaus wendet der Imker sehr viel zusätzliche Zeit auf, die Bienenvölker auf Schwarmzellen zu kontrollieren und den Auszug eines solchen Volkes zu verhindern.Zuchtbemühungen von uns Imkern werden den natürlichen Trieb zumSchwärmen niemals ausmerzen können - so gibt es bestimmte Schwarmjahre, wo auch die besten Zuchtvölker schwärmen wollen.
Es handelt sich hierbei um einen Naturtrieb, der nicht ausgeschaltet aber züchterisch eingedämmt werden soll. Unser Ziel muß es sein, die Schwarmneigung so gering zu halten, dass sie durch die ledigliche Erweiterung der Beute verhindert werden kann.
3. Wabenfestigkeit: Niemand möchte mit nervösen, ständig aufsteigenden Bienen arbeiten müssen. Es erleichtert die Arbeit des Imkers ungemein, wenn die Tiere wabenfest sind. Bleiben die Bienen trotz Öffnen und Herausziehen von Waben fest auf ihnen, so ist das auch ein Zeichen dafür, dass dieser Eingriff die Volksgemeinschaft nur geringfügig gestört hat.
Jede Störung, die eine Volksgemeinschaft so stark in ihrer Harmonie beeinträchtigt, dass die Bienen aufliegen, läßt einen Teil des Volkes seine Arbeit (also auch die Honigproduktion) unterbrechen.
4. Honigernte: Die Honigernte sollte jedes Jahr mit dem Durchschnitt des Bienenstandes verglichen werden. Da die Trachmöglichkeiten von Ort zu Ort und von Jahr zu Jahr unterschiedlich ausfallen, ist hier eine andere Herangehensweise nicht möglich. Den Honigertrag eines Volkes jedesmal aufwendig wiegen zu müssen erschwert diese Arbeiten sehr und macht sie daher auch so unattraktiv in der Praxis. Wie alles im Leben kann man auch das Schätzen einer Honigernte üben: Entweder werden einzelne Waben probegewogen oder noch besser die Honigzarge vor und nach der Tracht. Nach einigen Jahren der praktischen Arbeit ist es dann möglich, das Gewicht relativ genau zu beurteilen. Die Honigernte wird in Kilogramm angegeben und entsprechend der Notenskala von 1 bis 5 beurteilt.
5. Hygienisches Verhalten (Ausräumrate): Im besonderen Focus ist hier das natürliche Abwehrverhalten gegen die Varroamilbe,
aber auch gegen die Faul- und Kalkbrut. Manche Königinnenzüchter testen die Bienen in diesem Bereich - leider ist es oft so, dass nicht immer die Völker, die in den Eigenschaften 1 bis 4 im oberen Drittel gelegen haben, auch ein züchterisch herauszuhebendes Putzverhalten zeigen. Daher wird diese Eigenschaft zu selten in Zuchtprogrammen berücksichtigt. Es bleibt zu hoffen, dass bald auch die Varroatoleranz oder sogar die Varroaresistenz auf diese Wunschliste gesetzt wird.
Warum werden gerade die Eigenschaften der Notenskala (siehe unten) zur Beurteilung herangezogen und nicht andere, ebenfalls interessante Eigenschaften wie Frühlingserwachen, die durchschnittliche Lebenserwartung der Arbeiterinnen und andere?
Für eine objektive, rationelle Beurteilung sind solche Eigenschaftstests nur bedingt zu gebrauchen, da sehr zeitaufwendig. Besonders vor dem Hintergrund, dass für gute Zuchttiere große Schwesternserien aufgebaut und einheitlich geprüft werden sollen, ist die Vereinfachung (unter Berücksichtigung der größtmöglichen Vorsicht) eines Prüfschemas meines Erachtens zwingend notwendig.
Bienen, die beurteilt werden sollen, müssen unter relativ gleichwertigen Umweltbedingungen leben. Dies ist besonders wichtig bei der Auswahl von Zuchttieren.
Bei der Aufstellung der Bienenstöcke ist so zu verfahren, dass der mögliche Verflug besonders gering gehalten wird.
Geschwisterköniginnen werden auf mehrere Bienenstände aufgestellt - in diesem Fall ist es wichtig und auch für den Züchter sehr interessant, unterschiedliche klimatische Regionen auszuwählen (aber immer im gleichen Beutensystem, da ansonsten die unbekannten Variablen zu groß würden).
Wenn sich diese trotz der klimatischen Unterschiede unverändert verhalten, ist die Vererbung von größter Bedeutung und vom züchterisch besonders großem Wert.
Notenschlüssel zur Beurteilung von Völkern in Zucht- und Vermehrungsbetrieben:
Einleitende Anmerkung:
1: schlechteste Note, 3: Durchschnitt, 5: Optimaler Zustand
Auswahlvölker, die die Note <4 erhalten, sollten für die Weiterzucht nicht verwertet werden. Ausnahme: Selektion auf Varroatoleranz.
1. Sanftmut
- Aggressiv (1)
- Stark stechfreudig (5-8 Stiche, unprovoziert) (2)
- Stechfreudig (1-4 Stiche, unprovoziert) (3)
- Stechen nicht (bei Verwendung von Rauch) (4)
- Stechen nicht (können ohne Rauch bearbeitet werden) (5)
2. Schwarmneigung
- Schwärmen (1)
- Bestiftete Weiselnäpfchen (Schwarmverhindernde Eingriffe mehrmals nötig) (2)
- Bestiftete Weiselnäpfchen (Schwarmverhindernde Eingriffe einmal nötig) (3)
- Bestiftete Weiselnäpfchen (Kein Eingriff. Kein Schwärmen) (4)
- Keine Schwarmneigung (keine bestifteten Weiselnäpfchen) (5)
3. Wabenfestigkeit
- Sehr unruhig (Viele Bienen in der Luft) (1)
- Nervös (Die Bienen laufen auf den Waben. Viele Bienen fliegen einfach auf) (2)
- Unruhig (Die Bienen laufen auf den Waben und fliegen vereinzelt auf) (3)
- Ruhig (Die Bienen sind etwas unruhig auf den Waben, fliegen aber nicht auf) (4)
- Sehr ruhig (Die Bienen verhalten sich ruhig, fliegen auch beim Abschlagen schlagen nicht auf) (5)
4. Honigertrag
- Mehr als 50 % unter dem Durchschnitt des Bienenstandes (1)
- 10% bis 15 % unter dem Durchschnitt des Bienenstandes (2)
- Durchscnitt des Bienenstandes (3)
- 10 % bis 50 % über dem Durchscnitt des Bienenstandes (4)
- > 50 % als der Durchschnitt des Bienenstandes (5)
Die JAHRESNOTE (ausgehend von mindestens fünf Beobachtungen) ergibt sich aus dem Jahresdurchschnitt der jeweils gemachten Aufzeichnungen.
Beispiel Sanftmut:
Volk Nr. 13: Beobachtung am 20.04.09: Note 4
Beobachtung am 30.04.09: Note 4
Beobachtung am 06.05.09: Note 5
Beobachtung am 12.05.09: Note 5
Beobachtung am 18.05.09: Note 5
Beobachtung am 30.05.09: Note 4
Jahresnote Sanftmut Volk Nr. 13: 4,5
Für unsere Zuchtbewertung würde dies im konkreten Fall bedeuten, dass das Schwesternvolk in der Beute Nr. 13 gute bis sehr gute Eigenschaften im Bereich Sanftmut gezeigt hat.
5. Hygienisches Verhalten (Ausräumrate): Wird beschrieben in Kapitel "Auf dem Weg zu mehr Varroatoleranz"